Dogme95 - Etikettenschwindel „Dogma is not for fun” - sagt Thomas Vinterberg.
Wer aber ist Thomas Vinterberg?
Und was ist ein Dogma-95-Film?

Einem guten journalistischen Stil folgend,
präsentiere ich das Thema getrennt nach
Fakten und Kommentar:

 
Zuerst die Fakten:

1995 haben sich vier Filmemacher zusammengetan, um „gewissen Tendenzen des heutigen Kinos entgegenzuwirken”. Dazu stellten sie (innerhalb von 25 Minuten und unter teilweise heftigem Gelächter) einige Regeln auf, deren Einhaltung einen Film zu einem „Dogma-Film” machen. Jeder, der also einen Dogma-Film machen will, muss ein sogenanntes „Keuschheits-Gelübde” tun, welches ich hier sinnerhaltend verkürzt wiedergebe:

       
  Regel 1 Nur an realen Schauplätzen drehen, also nicht im Studio.
 
  Regel 2 Ton beim Filmen aufnehmen, also nicht nachvertonen.
 
  Regel 3 Aus der Hand filmen, also kein Stativ verwenden!
 
  Regel 4 Nur Farbfilm verwenden, nur vorhandenes Licht nutzen.
Wenn das nicht reicht, nur eine Lampe an der Kamera befestigen,
kein weiteres Licht setzen.
 
  Regel 5 Keine Filter verwenden, keine Effekte.
 
  Regel 6 Keine Oberflächlichkeiten, keine Morde, keine Waffen
 
  Regel 7 Keine Rückblenden und keine unterschiedlichen Drehorte
 
  Regel 8 Keine Genre-Filme drehen
 
  Regel 9 Filmformat Academy 35 mm
(also 4 : 3 Seitenverhältnis, kein Breitwandformat)
 
  Regel 10 Der Regisseur darf im Vor- oder Abspann nicht erwähnt werden.
Außerdem darf er dem Film keine persönliche Note geben.
Er soll ausschließlich die "Wahrheit" aus den Schauspielern und Drehorten herauszwingen, auf Kosten jeglicher Ästhetik.
 
     
 

Aufgestellt wurden diese Regeln am Montag, den 13. März 1995 in Kopenhagen
von Lars von Trier und Thomas Vinterberg

Und nun der Kommentar:

Man möchte meinen, es handele sich hier um eine üble Sekte. Die Sekte verbietet ihren Mitgliedern, ästhetische Filme zu machen. Statt dessen sollen sie mit „Wahrheit” langweilen.

Aber was ist schon die Wahrheit? Academy-Format? Jedes der 10 "Gelübde" kann Sinn machen - Kameraführung aus der Hand z. B. kann ein Stilmittel sein, und auch ein so hervorragender Film wie „Amadeus” wurde nur mit natürlichem Licht gedreht (!).

Dass die Film-Dogmatiker ihre Ausdrucksmittel aber „aus Prinzip” einschränken, macht ihre Filme meist langweilig und billig. Dessen ungeachtet haben die Dogmatiker keine Hemmungen, ahnungslose Kinogänger abzuzocken. Nicht jeder kennt oder beachtet das Kleingedruckte (nämlich das Dogma-95-Zertifikat) und so mancher ärgert sich hinterher über die 9 Euro, die er in Erwartung eines „echten” Kinoerlebnisses hingeblättert hat.

 

     
Was, wenn dieses Arbeitsprinzip auf andere Bereiche des öffentlichen Lebens überginge,
etwa auf die Gastronomie?
 

Dogme95 - Dogma-Fritten
Erweiterte Dogma-Regeln für die Herstellung von Pommes Frites

Regel 1 Kartoffeln nicht waschen
  Regel 2 Kartoffeln nicht mit einem Messer schneiden,
sondern mit bloßen Fingern auseinanderpulen
 
  Regel 3 Fett nicht künstlich erhitzen,
sondern nur im Freien mit Sonnenwärme frittieren.
 
  Regel 4 Fritten nicht salzen und keine Soßen (Ketchup oder Mayo) verwenden.
 
  Regel 5 Kein Besteck verwenden (= mit den Händen essen!)
 
       
Dogme95 - Dogma-Fritten - Kartoffel nicht waschen Dogme95 - Dogma-Fritten - Kartoffel auseinanderpulen Dogme 95 - Dogma-Fritten - nicht künstlich erhitzen! Dogme 95 - Dogma-Fritten - schlicht, kosten aber trotzdem 9 Euro!

   

Mein Dogma-Fritten-Gelübde:

Ich bin kein Koch mehr. Ich schwöre, nie wieder eine schmackhafte,
leckere "Portion Fritten" machen zu wollen.

Ich halte den Moment des Frittenmachens für wichtiger als das Ergebnis. Mein oberstes Ziel ist es, die Wahrheit aus Kartoffel und dem Frittierfett herauszuzwingen.

Ich schwöre, dieses Ziel mit allen Mitteln zu fördern, auf Kosten des Geschmacks der Fritten und deren ästhetischen Anblicks.

Dies ist mein Fritten-Gelübde

Köln, 22. April 2002, Michael von Aichberger

Nachsatz: Sowas ist für mich tabu!

 
   

Dogme95 - 1 Meldung - 5 Auas

 

Zuerst die Meldung
der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
(Auas rot gekennzeichnet)

 
   
„Die Kölner Produktionsfirma pain unlimited produziert im August in Köln einen neuen Dogma Film. 'The House of Klang' von Paul Morrissey, dem filmischen Partner von Andy Warhol, ist eine schwarze Komödie über einen exaltierten Modedesigner (Udo Kier). Die Filmstiftung unterstützt das Projekt, an der auch Vibeke Windelovs dänische Produktionsfirma Zentropa beteiligt ist, mit 750.000 Mark.”

 

Dann die Meinung:

Was? In *meiner* Stadt - aua - wird ein Dogma-Film - aua - gedreht? Andy Warhol
- aua -
steckt auch drin? Andy Warhol, der drittdreisteste Blender des 20. Jahrhunderts nach Beuys und Baselitz? - aua - Und die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen unterstützt den Frevel mit 383.468 EUR und 81 Cent aus meinen und anderer rechtschaffener Bürger Steuergelder?
- ganz arg aua -.
Nomen est omen: Bei diesem Filmersatz passt zumindest die Produktionsfirma:
„ pain unlimited” - der Name sagt alles!

 
 
Dogme95 - weitere Meinungen
 

Katja Engelhardt, freie Redakteurin:

„Ich mag keine Dogma Filme. Wenn ich einen sehe, denke ich immer: 'Stellt doch mal ne Lampe auf!' Ich finde, wer keine Lampen aufstellen will, soll keine Filme machen.
Soll er's doch mit einem Hörspiel versuchen.”

 
  Oft ist die erste Umsetzung einer Idee die beste. So auch bei Dogma.
Der erste Dogma-Film „Festen” („Das Fest”) ist in vielen Punkten sehr gelungen.
 
Festen - Kein Fest fürs Auge
Der erste Dogma-Film überzeugt. Nicht wegen, aber trotz der Dogma-Regeln.
 
 


Eine Familie feiert den 60. Geburtstag des Vaters auf dessen luxuriösen Anwesen. Die Charaktere der drei Kinder werden schon bei deren Ankunft gut herausgearbeitet:
Der jüngste - Michael - ist cholerisch, die mittlere - Helene - ein wenig ausgeflippt, und der älteste - Christian - in sich gekehrt und ein wenig „verklemmt”. Ebenfalls eingeführt wird Christians kleine Zwillingsschwester, die sich das Leben genommen hat. Helene zieht in ihr altes Zimmer ein und findet ihren Abschiedsbrief.

Als sich alle an der Tafel versammelt haben, hält Christian eine kleine Rede. Christian hat zwei vorbereitet, sein Vater darf sich eine aussuchen. Christian nennt die vom Vater ausgewählte Rede "Die Rede der Wahrheit". Sie beginnt unverbindlich und wohlwollend, doch enthüllt schließlich, dass Christian und seine kleine Zwillingsschwester von ihrem Vater sexuell mißbraucht worden sind.

Die Offenbarung provoziert keinen Eklat, sondern betretenes Schweigen und Ungläubigkeit. Man erklärt Christians Entgleisung damit, er sei krank.

Man muß dem Film zugestehen, dass er die sehr unterschiedlichen Gefühle der Beteiligten hervorragend herausarbeitet.

Christian versucht weiter, sich Gehör zu verschaffen, wird jedoch ruhig gestellt und das Fest geht weiter. Bis Christian seine Schwester Helene dazu bringt, den Abschiedsbrief der verstorbenen Schwester vorzulesen, der Christians Version bestätigt und die Gemütslage der versammelten Mannschaft radikal verändert.

Alles sehr schön gespielt und umgesetzt. Neben Buch und Darstellung kann man auch den Schnitt lobend erwähnen, der der Idee des Videos durchaus gerecht wird. Des Videos?

Gefilmt wurde das Ganze mit einer Amateur-Videokamera von der Größe eines Reisepasses. Man sagt, dass die schauspielerischen Leistungen dadurch besser zur Geltung gekommen wären. Das kann ich für Profi-Schauspieler als Argument nicht gelten lassen. Noch kann ich erkennen, dass man versucht hätte, das Ding richtig zu bedienen. Mit Gegenlicht-Situationen wurde so umgegangen, wie es Amateure tun, nämlich gar nicht. Stark unterbelichtete Szenen wurden am Schneidetisch hochgezogen, was an einem dramatischen Verlust von Tonwerten zu erkennen ist. Wie war das noch? Keine Postproduktion? Dass ich nicht lache! Die automatische Restlichtverstärkung und der entfesselte Autofocus der Kamera sorgten schließlich dafür, dass die Bildqualität meist unter der von Super 8 Schmalfilm blieb. Schade schade schade.

„Festen” hätte ein rundum gelungener Kinofilm werden können ...

Dem Videofilm ist es immerhin gelungen, beim Zuschauer Betroffenheit zu erzeugen.
Woran man sieht, wieviel ein gutes Script und gute Schauspieler ausmachen.

Leider haben fast alle nachfolgenden Dogma-Filme selbst das nicht mehr zu bieten gehabt, weswegen sie nur noch Frust und Langeweile erzeugen.