Die Zeit, in der es noch zwei deutsche Staaten gab, gerät immer weiter in Vergessenheit. Hiermit rufe ich alle Wessis und Ossis auf, mir ihre Erinnerungen zu schreiben. Dabei sollte der Alltag im Vordergrund stehen.

Bisherige Beiträge:

Eigene Erinnerungen an die DDR

Erinnerungen von Kati Lindemann

C. Franziska Richter: Diesseits der Mauer

DDR Ost-Berlin Trabbi
Trabi in Ost-Berlin 1984

Eigene Erinnerungen an die DDR:

Beim jedem Besuch in Ost-Berlin mußten Westdeutsche 25 DM in 25 Ostmark tauschen. Dadurch entstand ein gewisser Zwang, das Geld an dem Tag auch auszugeben. Einmal kam ich auf den Gedanken, Tischtennisschläger und -bälle zu kaufen. Das Kaufhaus "Zentrum" am Alexanderplatz bot davon eine reiche Auswahl. Als ich ein Jahr darauf wiederkam, dachte ich erneut daran, ein paar Bälle zu kaufen. Doch diesmal waren keinerlei Tischtennis-Utensilien mehr zu sehen. Ich fragte nach und erhielt die Auskunft: "Warum? Die hatten wir doch letztes Jahr!"

DDR - Die DDR - Unser Vaterland!
Dresden 1985 - Nationalpatriotismus aller Orten

1985 besuchte ich eine Freundin in Dresden. Sie hieß Maria und arbeitete im VEB Anlagenbau Otto Buchwitz. Ob ich mal mitkommen wollte, fragte sie. Sie hätte sowieso nichts zu tun. Ich hatte ein wenig Schiß, aber interessant stellte ich es mir schon vor. Also ging ich mit. Ohne Kamera. Sehr ungewöhnlich für mich, aber als Spion verhaftet zu werden war damals nicht mein Lebensziel.

Durch mehrere Ferienjobs, u. a. bei BOSCH in Stuttgart-Feuerbach, wußte ich, wie eine Fabrik von innen aussieht. Aber dieser DDR-Betrieb war ziemlich anders. Es hatte nicht den Anschein, als würde dort etwas produziert. Halbfertige Teile standen herum und hatten schon Rost gefangen. Maria führte mich in die "Entwicklungsabteilung" und zeigte mir deren Computer. Im Westen war gerade der "Volkscomputer", der Commodore VC 20, später der C64, in Mode gekommen. Was ich dort sah, war groß und schwer und hatte nicht annähernd die Leistung. Die Elektronenhirn mußte noch mit Hexcode gefüttert werden. Man improvisierte viel. Neue Leiterplatten waren wohl nicht vorhanden, aber man hatte noch eine Kiste mit Reststücken, damit werkelte man herum. Die Arbeiter, die mangels Rohmaterialien wirklich nichts mehr zu tun hatten, bastelten auf dem Werksgelände an ihren Trabis rum.

Während des ganzen Besuchs war mir schon mulmig gewesen, doch dieses ungute Gefühl steigerte sich zur blanken Angst, als Maria unerwarteterweise doch zu irgendeinem Arbeitseinsatz gerufen wurde. Sie hatte mir vorher schon gesagt, ich sollte so tun, als sei ich ein Lehrling aus einem Zweigbetrieb. Als sie weg war, saß ich als Wessi also mit mir fremden Ossis im Forschungslabor eines volkseigenen Betriebs und hatte nur ein einziges Ziel im Kopf: Möglichst nicht aufzufallen, bis Maria wiederkäme. Es ging alles gut. Diese Erfahrung zähle ich zu den größten Abenteuern in meinem Leben.

DDR - Dresden - Nürnberger Str.
Dresden 1985:
Das hat mich damals total verblüfft:
Eine Hauptverkehrsstraße ohne ein einziges parkendes Auto!

Noch 'ne Erinnerung: U-Bahn-Fahren in Ost-Berlin.
Die Fahrt kostete 20 Pf. Sehr sozial[istisch]!DDR - Ostberlin - Fahrkarte für U- und S-Bahn Besonders beeindruckend: Die Fahrscheine wurden aus Automaten gezogen, in die man Geld einwerfen und aus denen man die Karten herauslassen konnte; beide Möglichkeiten waren in dem Gerät jedoch technisch unabhängig voneinander umgesetzt worden.
Das heißt: Fahrkarten bekam man soviele man wollte, unabhängig davon, ob und wieviel Geld man eingeworfen hatte, und natürlich konnte man auch Geld einwerfen, ohne eine Karte zu entnehmen. Es fanden aber trotzdem stichprobenweise Fahrkartenkontrollen statt!

 

Kati Lindemann, Frankfurt/Oder, Jahrgang 1978

"Wenn es denn doch mal Negerküsse zu kaufen gab, was man entweder erfuhr, wenn man zufällig in die Kaufhalle ging oder wenn man zielstrebig ging, weil man gehört hatte, dass es mal wieder was besonderes gab, dann musste man sich in jedem Fall beeilen. Die Negerküsse waren rationiert, das hieß, dass man pro Käufer nur eine bestimmte Anzahl kaufen durfte. Die gab es dann in braunen Papiertüten und waren sehr lecker, aber auch viel kleiner, als die Dickmanns."

"Seit meinem 5. Lebensjahr war ich beim Turnen. Die Sucher kamen schon in den Kindergarten, um zierlich gebaute und sportliche Mädchen und Jungen für den Leistungssport zu interessieren und langfristig auszubilden. Ich kann mich noch erinnern, dass wir immer neidisch auf die Großen waren, weil die "Brausepulver" bekamen und wir jüngeren noch nicht. Außerdem durften die Älteren und Besseren eigene Küren turnten, wir jedoch lange Zeit nur die "Einheitskür".

"Ich kann mich noch erinnern, dass jemand aus meinem Ort uns für viel Geld abfotografierte "BRAVO"-Bilder verkaufte. Das war für viele die einzige Möglichkeit an Bildchen von ihren Stars zu gelangen."

DDR - Komplexannahmestelle für Sekundärrohstoffe

"Während unserer Jungpionierzeit wurden wir angehalten, Altstoffe zu sammeln. Wir sind dazu immer mit Beuteln, die ganz Kleveren sogar mit Bollerwagen, von Haus zu Haus gezogen, um nach alten Flaschen oder Zeitungen zu fragen. Die haben wir dann entweder in der SERO-Annahmestelle abgegeben oder direkt, im Wettkampf mit anderen Klassen, in der Schule gesammelt und dort dafür Punkte bekommen. Am Ende eines Schuljahres war die Gesamtauswertung und Klassenpreise für die besten Sammler."
(Geärgert hat uns immer, wenn Schüler aus Großfamilien oder mit vieltrinkenden Eltern in diesem Wettstreit weit vorne lagen.)

"Jedes Jahr zu Weihnachten und zum Geburtstag haben wir Westpakete von unseren Verwandten geschickt bekommen. Deren Inhalt: Kaffee, Schokolade, Seidenstrumpfhosen, Lux-Seife, abgetragene Sachen wie Samtpullover oder Jeans, Turnschuhe mit Klettverschluss, Lebkuchen mit Füllung, Federhalter, Kakao, Barbies, Mamba, Shampoo, Kaugummis und natürlich nicht zu vergessen: die Inhaltsliste."

"Eine große Angst von vielen während der ersten Tage nach der Maueröffnung war, dass es sehr wohl sein könnte, dass sie bald schon wieder geschlossen wird. Das ist unter anderem auch eine Erklärung dafür, dass so viele Menschen sehr schnell in den Westen sind, um mal zu gucken, wie das da so ist."

"Plastiktüten, wenn wir denn mal welche aus dem Westen bekamen, mussten oft umgedreht getragen werden."

"Wenn wir denn mal an Westgeld kamen, konnte es in 'Forumschecks' umgetauscht werden. Mit diesen waren wir im Intershop und haben uns Matchbox, Tintenkiller, Filzies, Ratzefummel und Schokolade gekauft."

DDR - Urkunde Kollektiv Deutsch-Sowjetische Freundschaft
Auslage eines HO-Lebensmittelladens 1984.
Urkunde mit folgendem Text:

Für hervorragende Leistungen
zur Festigung der Freundschaft
und Zusammenarbeit mit der Sowjetunion
im sozialistischen Wettbewerb wird
dem Kollektiv
Karl-Marx-Allee 57
der Ehrenname
KOLLEKTIV
DEUTSCH-SOWJETISCHE
FREUNDSCHAFT
verliehen.

DDR - Ost-Berlin - Wahlaufruf "Wählt die Kandidaten der Nationalen Front"
Ost-Berlin 1984: Wahlaufruf auf Litfaßsäule:
"Wählt die Kandidaten der Nationalen Front"

DDR Ost-Berlin Hackesches Viertel
Ost-Berlin, Hackesches Viertel 1984
heute von Touristen überschwemmtes Szeneviertel

 

C. Franziska Richter, Dresden, Jahrgang 1978

Anmerkung der Autorin: Der folgende Text beruht nur auf meinen Erinnerungen, ich erhebe keinen Anspruch darauf, ein perfektes Gedächtnis zu haben und bitte, falsche Bezeichnungen oder Ähnliches zu entschuldigen. Auch sind meine Erinnerungen nicht vollständig wiedergegeben – es gibt noch vieles mehr, was sich aber in persönlichen Gesprächen besser erzählen läßt.

Diesseits der Mauer – mein Leben in der DDR

Ich wurde 1978 in Dresden geboren. Dresden, das in der DDR als „Tal der Ahnungslosen“ bekannt war, weil wir durch die geographische Lage – im Elbtal – kein „Westfernsehen“ empfangen konnten. Dresden, das als „Elbflorenz“ bekannt ist, weil architektonische Bauten es zu einer der schönsten Städte macht, die ich kenne. Das war auch früher schon so. Dresden, das nach der Wende – wenn auch langsam, so doch stetig – einen wirtschaftlichen, städtebaulichen Aufschwung erfuhr.

Und vor 1990?

Mein Leben bestand aus Kinderkrippenbesuchen, dann ein paar Jahre Kindergarten – wo nicht etwa Beschäftigungstherapie stattfand, sondern wir unsere Kindheit genießen durften – mit jeder Menge Spielzeug, einem eigenen Swimmingpool [der damals allerdings einfach „Schwimmbecken“ hieß] und wo wir nebenbei schon erste Lesekenntnisse auf spielerische Art und Weise vermittelt bekamen. Dann, im Herbst 1985, wurde ich in die 36. POS [Polytechnische Oberschule] eingeschult, wo man normalerweise blieb, bis man seinen 10-Klassen-Abschluß gemacht hatte. Danach stand dann die EOS an [Erweiterte Oberschule], die Entsprechung des Abiturs als Voraussetzung für ein Studium. Aber zuerst wurden wir „Jungpioniere“ - eine Organisation für Kinder von der ersten bis zur fünften Klasse. Für uns Kinder weniger politisch – bei uns ging es darum, sich am Nachmittag zu treffen, miteinander zu sprechen, zu spielen und Kontakte zu anderen Pioniergruppen zu halten. Später schlossen wir auch Kontakt zu einer sogenannten „Patenbrigade“ – eine Gruppe von Menschen, die in einem Betrieb tätig waren und uns von ihrem Arbeitsleben erzählten – ob dies nun Produktion oder Büroarbeit war. Außerdem schloß ich mich dem sogenannten „Timurtrupp“ an – auch der Titel eines meiner liebsten Kinderbücher lautete so: „Timur und sein Trupp“ Aufgabe in diesem Verein war es meist, älteren Menschen zu helfen. Ich ging für eine alte Dame einkaufen und wurde von ihr mit Zuckereiern belohnt, die ich zwar nicht mochte, aber ihr zuliebe aß. Das ist für mich eine der stärksten Erinnerungen: wir taten solche Dinge freiwillig, ohne zu murren. Und es war schön, dass man das Gefühl bekam, wirklich helfen zu können. In der fünften Klasse dann wurde ich zum „Thälmannpionier“ – nach der Wende erstaunte es mich, zu hören, dass Thälmann – obwohl in Hamburg geboren – in den alten Bundesländern recht unbekannt war.

Ein Jahr später kam schon die Wende und mit ihr das Ende der DDR. Überwiegend habe ich wohl positive Erinnerungen, was zum einen natürlich der Tatsache geschuldet ist, dass ich noch sehr jung war und Dinge wie Parteipolitik, Meinungsfreiheit etc. für mich noch nicht wirklich eine Rolle spielten. Zum anderen wuchs ich in einem eher linksorientierten, intellektuellen Haus auf und die Freunde meiner Eltern waren genauso liberal wie meine Eltern selbst. Es gab politische Diskussionen, wie es sie auch heute noch gibt, nur dass früher sicher vorsichtiger argumentiert wurde.
Ich erinnere mich allerdings, einmal eine Klassenleitertadel bekommen zu haben, weil ich angeblich das Staatsoberhaupt der DDR Erich Honecker beleidigte – ich sagte, als ich ein Foto mit ihm und einer violett und weiß gepunkteten Krawatte sah: „Boah, der Schlips, ey, aus’m Ex, ey!“ ('Exquisit' – ein exklusives Bekleidungsgeschäft in der DDR). Ob dieser Tadel nun gerechtfertigt war...? Allen Vorurteilen zum Trotz gab es jedoch in der DDR Restaurants, genügend Lebensmittel für alle und auch „E.T.“ lief im Kino (wenn auch mit Verspätung).

Thema Lebensmittel:
Der Joghurt bestand aus Wasser und Milchpulver, sowie Geschmacksstoffen. Als ich das erste Mal „Danone“-Joghurt aß (Pfirsich mit Fruchtstücken!), dachte ich, ich esse Früchtequark. Milch gab es in Glasflaschen oder Plastiktüten, die in den Geschäften in Kisten lagen und von denen ein paar immer undicht waren. Pfirsiche, Orangen, Bananen gab es nur zu bestimmten Jahreszeiten und die Menge wurde pro Familie limitiert, so dass sich die Familienmitglieder einzeln anstellten, um Obst zu kaufen. An diesen Tagen gab es immer Riesenschlangen vor den Obstgeschäften. Die Brötchen waren (Entschuldigung an alle Bäcker) viiieel besser – sie bestanden nicht hauptsächlich aus Luft, wie heutzutage, sondern aus (Überraschung!) Teig. Es gab nicht 180 verschiedene Sorten von jedem Lebensmittel, sondern nur zwei. Aber man musste wenigstens nicht stundenlang Preise vergleichen. Es gab Cornflakes! Die Tüte kostete 1 Mark – und ähnelte den heutigen Kellogg's-Flakes – auf die mit dem Hammer geschlagen wurde ;).

Thema Medien:
Es gab verschiedene Tageszeitungen, die unterschiedlich politisch gefärbt waren. Es gab „Das Magazin“, eine Unterhaltungszeitschrift, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen, Literatur und erotischer Fotografie beschäftigte (gibt es auch heute noch), den „Eulenspiegel“ – ein politisches Satiremagazin (Ah! Sieh’ einer an!), die Frösi („Fröhlich sein und Singen“) – eine Zeitung für Kinder. Die „Bummi“ – eine Zeitung für kleine Kinder, die sich mit einem gelben Teddybär beschäftigte, der „Bummi“ hieß. Es gab auch ein Comic, das „Die Abrafaxe“ hieß. Und weitere Zeitschriften, die der Unterhaltung dienten, u. a. für Mode. Es gab zwei Fernsehsender, die nur durch die Zahlen 1 und 2 auseinander gehalten wurden. Mein Lieblingsradiosender war DT 64. Es gab jede Menge Bücher, wenn auch nicht alle. Aber „1984“ von George Orwell wurde auch in der DDR verkauft, wenn auch „unter der Ladentheke“.

Thema Politik:
Entgegen der landläufigen Meinung gab es fünf Parteien: CDU, DBD, LDPD, NDPD, SED. Am ersten Mai gab es Maidemonstrationen, der Tag des Arbeiters wurde gefeiert. Symbol war eine
rote Nelke am Knopfloch. Es gab jede Menge Kombinate, Vereinigungen und politische bzw. nichtpolitische Feiertage, z. B.:

1. März Tag der Nationalen Volksarmee (NVA)
24. April Internationaler Tag der Jugend und Studenten gegen Kolonialisierung und für friedliche Koexistenz
10. Mai Tag des freien Buches
12. Juni Tag des Lehrers

Ansonsten: Im täglichen Leben wurde viel improvisiert und getauscht oder selber hergestellt. Das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) wußte Dinge über uns, die mich erschreckten, als ich einen Blick in die Akte meines Vaters warf, der mehrmals erfolglos angeworben wurde, um als IM [Informeller Mitarbeiter] zu arbeiten und dem entgehen konnte, indem er sagte, er könne „seinen Mund nicht halten“. Wir machten Urlaub an der Ostsee, in Polen oder der (damaligen) CSFR. Den Taumel, den ich in der Nacht vom 11. November 1989 empfand, werde ich nie vergessen, auch wenn ich damals nicht alles verstanden habe, was um mich herum passierte.

Nun ist alles anders. Manchmal frage ich mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn es die Wende nicht gegeben hätte. Und bin dankbar dafür, dass es Gorbatschow gab. Und bin froh, dass alles so kam, wie es passiert ist und das ich zwei politische Systeme erleben konnte. Und wenn ich eines gelernt habe, dann ist es, dass es ideale Staatsformen nur auf dem Papier gibt.

C. Franziska Richter, Juli 2002
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