Ich war eine Spätgeburt. Drei Wochen zu spät.

Wäre ich rechtzeitig gekommen, dann hätte ich am 26. Juni 1963 das Licht der Welt erblickt.

"Ich bin ein Berliner", wären meine ersten Worte gewesen, aber jemand anderes war schneller: Er hieß John F. und kam eigentlich aus Amerika, war also gar kein richtiger Berliner, aber er wollte damit angeben. Damit und mit seinem Latein.

Er hielt eine Rede an diesem 26. Juni und vor nicht wenigen echten Berlinern sagte er:

"Two thousand years ago the proudest boast was Civis Romanus sum. Today, in the world of freedom, the proudest boast is Ich bin ein Berliner."

Das mit dem Angeben hat geklappt. Die Leute fanden das scharf. Also verzichtete ich darauf, ihm nachzuplappern und hielt erstmal den Mund.

Um ein Haar hätte es bei mir auch "Ich bin ein Stuttgarter" heißen können, denn dort lebten meine Eltern als sie 1961 heirateten.

Doch dann baute die DDR aus Versehen mitten in Berlin eine Mauer. Aus Versehen deshalb, weil niemand in der DDR bis dahin die Absicht hatte, eine Mauer zu errichten. Aber "Shit happens", also konnten viele Menschen nicht mehr in den Westen.

Obwohl die DDR ja eigentlich der bessere deutsche Staat war, erlagen viele Ostberliner der Versuchung des Bösen und kehrten dem Paradies den Rücken.

Auf der anderen Seite konnten viele West-Berliner nicht mehr gut schlafen, weil Sie Angst hatten, die DDR könnte mit ihrem großen Bruder aus Versehen bei ihnen einmarschieren.

Während also Ossis nach Westberlin ausrissen, reisten Wessis nach Westdeutschland aus. Aber jemand mußte sich ja um die Ossis in Westberlin kümmern. Als angehender Kirchenmann hatte mein Vater damals schon eine soziale Ader und eilte wenige Wochen nach dem Bau der Mauer nach Berlin, wo er zuerst Lagerpfarrer war im Notaufnahmelager Marienfelde, später Pfarrer in Spandau.

Und da in der Zeit wie gesagt die Westberliner immer weniger wurden, taten meine Eltern alles, um neue zu machen.

Das erklärt, warum ich ein Berliner bin.

Es erklärt allerdings nicht, warum ich keine Berliner mag. Der Grund hierfür ist einfacher: Berliner sind mit Marmelade gefüllt und mit Zucker bestreut. Wären sie mit Marzipan gefüllt und mit Schokolade überzogen, wären sie mir sympathischer.

Berliner Mauer - Potsdamer Platz 1961 - Hotel Vaterland
Potsdamer Platz 1961
fotografiert von meinen Eltern

Berliner Mauer - Potsdamer Platz 1961
Potsdamer Platz 1961